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“Destino Chile, destino Valpo, destino Casa Shu”: Mein Auslandssemester und Schulpraktikum in Valparaíso

von Franziska Spang

Nachdem ich während meines Bachelors bereits ein Erasmussemester in Salamanca verbringen durfte, war es für mich immer ein stiller Wunsch, in meinem Masterstudium die Möglichkeit zu erhalten, einige Monate in einem lateinamerikanischen Land studieren zu dürfen. Meine eigene Schulzeit wurde selbst durch einen Spanischlehrer besonders geprägt, der während seines Studiums einige Zeit in Lateinamerika verbracht und den Unterricht durch persönliche Erfahrungen und Anekdoten bereichert und dadurch einzigartig lebendig gestaltet hat.

Bereits nach dem Abitur war mein ursprünglicher Plan, im Zuge eines Freiwilligenjahres in einem chilenischen Kinderheim zu arbeiten, der allerdings wegen Corona nicht umgesetzt werden konnte. Umso glücklicher war ich (und ich sehe es mittlerweile als Destino), dass der DAAD im Herbst letzten Jahres ein weiteres Mal das Stipendium zum Projekt Mobil sein in der internationalen Lehrerbildung ausgeschrieben hat und einer Kommilitonin und mir schließlich Ende des Jahres die Zusage gegeben und damit ermöglicht hat, von Februar bis Juli eine unvergessliche Zeit in Valparaíso verbringen zu dürfen.

Dieses einmalige Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass es ein Studium an der Pontificia Universidad Católica de Valparaíso (PUCV) mit einem Schulpraktikum am Colegio Rubén Castro verbindet. Für mich persönlich stellte sich der Zeitpunkt für dieses Auslandssemester als optimal heraus: Ein Erasmussemester war für mich der erste wichtige Schritt, um das Leben und Studieren in einem anderen Land kennenzulernen und mit kleineren und größeren Schwierigkeiten konfrontiert zu werden, die in einer nicht-deutschen Kultur fremdsprachlich gelöst werden mussten. Trotzdem zeichnet sich Erasmus natürlich vorrangig durch die Verbindung europäischer Studierender aus und letztlich war auch ich in Salamanca immer in Kontakt zu vielen Deutschen. Hier in Chile aber waren wir in unseren Seminaren die einzigen Austauschstudentinnen, wodurch wir automatisch gezwungen waren, auf chilenische Kommilitonen zuzugehen, um uns gut in die Kurse integrieren zu können. Gleichzeitig handelte es sich für mich um den ersten Aufenthalt und meine allerersten Erfahrungen in einem lateinamerikanischen Land, von dem ich vorher nicht wusste, wie ich die Alltagsgefahr einzuschätzen hatte. Letztlich kann ich sagen, dass man sehr schnell in den Umgang hineinwächst und von den Chilenen gewisse ‚Regeln‘ einfach übernommen hat: Wo ich in Heidelberg abends im Dunkeln vielleicht noch alleine nach Hause laufen würde, habe ich mir hier ab der Dämmerung ein Uber bestellt, auf offener Straße habe ich nie mit dem Handy am Ohr offensichtlich telefoniert und teure Wertgegenstände habe ich von Anfang an zu Hause gelassen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Chile ein für Lateinamerika sicheres Land ist, in dem man sich lediglich Sorgen um sein teures Handy, nicht aber wegen physischer Gewalt machen muss.

Leben in der Casa Shu

Ursprünglich wollte ich erst vor Ort nach einer WG suchen, da diese Vorgehensweise in Erfahrungsberichten anderer Studierender als die übliche Herangehensweise beschrieben wird. Einen Tag vor meinem Flug bin ich aber zufällig auf den Blog einer Studentin gestoßen, die ihr Leben in der 14-köpfigen internationalen Casa Shu beschrieben hat. Ich habe daraufhin den Vermieter auf Facebook angeschrieben (Casa Verde Mackenna SHU | Valparaíso | Facebook), der mir auch sehr schnell geantwortet und erklärt hat, dass ihm vor zwei Tagen aufgefallen ist, dass ein Zimmer tatsächlich noch frei ist, von dem er fälschlicherweise dachte, dass er es längst vermietet hätte. Eine mündliche Zusage war für ihn ausreichend, was für mich der erste extrem positive Kontakt zu Chilenen war: In Spanien hätte ich, so meiner Erfahrung nach, zuerst einmal eine hohe Kaution als Sicherheit überweisen müssen.

Für mich war das Leben in der Casa Shu das größte Glück, das mir nur hätte widerfahren können: Ich wohnte mit Spaniern, Französinnen, einem Italiener und einem Chilenen zusammen und innerhalb kürzester Zeit ist hier eine Gemeinschaft zusammengewachsen, die ich so noch nie erlebt habe. So viele verschiedene Charaktere, Interessen, Studiengänge, Alter und Kulturen sind zu einer Familie zusammengewachsen, in der internationale Kochabende veranstaltet, gemeinsam ins Theater und auf Konzerte gegangen, Wochenendausflüge in die Berge gemacht, Partys gefeiert oder Filme geschaut wurden.

Mein Unialltag an der PUCV

In meinem Auslandssemester habe ich vier Seminare belegt. Im Nachhinein betrachtet muss ich sagen, dass uns das Einschreibeverfahren unnötig verkompliziert wurde und wir die Kurse mehrfach wechseln und den Stundenplan abändern mussten. Jetzt, einige Monate später, habe ich den Anfangsstress allerdings schon wieder komplett vergessen und sehe vor allem all das, was ich hier lernen durfte. Von drei der vier Kurse war ich, sowohl von den Inhalten als auch den Dozenten, extrem beeindruckt: Ich habe einen Kurs zu Literatura contemporánea latinoamericana belegt, in dem ich eine unglaubliche Bandbreite lateinamerikanischer Klassiker kennenlernen durfte, die die Dozentin kompakt und dennoch sehr stringent und nachvollziehbar, stets in Verbindung zu historischen Ereignissen und der jeweiligen Kultur aufbereitet hat. Außerdem habe ich ein Linguistikseminar belegt (Lenguaje, cognición y sociedad), das für mich einige grundlegende sprachwissenschaftliche Konzepte besonders gut entschlüsselt und strukturiert hat. Zudem habe ich mich zum ersten Mal seit Beginn meines Studiums in dem Didaktikseminar Evaluación del y para el aprendizaje mit der Fragestellung auseinandergesetzt, was faire Beurteilung und Notengebung im Schulalltag beinhaltet und welche Rolle ich als Lehrerin dabei spiele.

Mir ist deutlich geworden, dass das chilenische Unisystem eher mit dem spanischen vergleichbar ist und sich insbesondere von der Heidelberger Romanistik darin unterscheidet, dass die Kurse deutlich „verschulter“ sind. Alle Seminare haben pro Woche zweimal stattgefunden und anstelle einer Abschlussklausur oder Hausarbeit am Ende des Semesters mussten wir fast wöchentlich kleine Abgaben einreichen. Insgesamt hatten wir über das Semester verteilt drei Klausurenblöcke. Ich persönlich habe dabei gemerkt, wie sehr ich mich an das eigenständige Arbeiten in meinem eigenen Rhythmus während des Bachelors in Heidelberg gewöhnt habe und dass ich es fast nicht mehr gewöhnt war, jede Woche zur Kontrolle bestimmte Abgaben zu erledigen.

Mein Schulpraktikum am Colegio Rubén Castro

Mein Schulpraktikum durfte ich in drei verschiedenen Klassen von zehn- bis 13-jährigen Schülern absolvieren und dabei zwei verschiedene Lehrkräfte begleiten. Das Colegio Rubén Castro zeichnet sich dadurch aus, dass es eine reine Jungenschule ist. Eine Klasse setzt sich hier aus 35 bis 40 Jungen zusammen und bei der Altersstufe meiner Klassen kann man sich vorstellen, unter welchem Lärmpegel der Unterricht oftmals stattfand. Die Lehrer haben dabei eine bewundernswerte Geduld bewiesen und, auch wenn mir natürlich sofort einige Unterschiede im chilenischen Unterricht im Vergleich zu Deutschland aufgefallen sind, so ist für mich im Rückblick vor allem klar geworden: Kinder sind überall nur Kinder. Meine chilenischen Jungen haben sich genauso verhalten, wie es auch deutsche Schüler tun: In der Pause gingen beim Fußballspielen Fensterscheiben kaputt, im Unterricht wurden gegenüber den Lehrern die Grenzen ausgetestet, sie haben gestritten oder nach einer schlecht gelaufenen Arbeit über ihre Note geweint. Sie waren neugierig und haben mich über Deutschland ausgefragt, haben Fragen gestellt und um Hilfe gebeten. Rückblickend kann ich sagen, dass es für mich zu Anfang nicht nur eine Herausforderung war, in der Fremdsprache Fragen zu beantworten oder auch den ein oder anderen Streit zu schlichten, aber dass ich von den Jungen eine Menge lernen durfte, weil sie mir gezeigt haben, dass der Beruf der Lehrerin genau das ist, was ich später machen möchte.

Abschließend kann ich sagen, dass mich meine Zeit hier in Valparaíso auf so vielfältige Weise geprägt hat und ich diese Erfahrungen nie missen möchte. Ich hatte insbesondere die Möglichkeit, auf Reisen an Wochenenden die Vielfalt Chiles kennenzulernen, in meiner Casa internationale und tiefgründige Freundschaften zu schließen und in der Uni und in der Schule nicht nur ein anderes System kennenzulernen, sondern hierbei auf so viele Menschen getroffen zu sein, die meine Persönlichkeit bestärkt haben, sodass ich weiß, dass ich in vielen Situationen in der Zukunft von meinem Valpo-Semester profitieren werde.

Franziska Spang (Universität Heidelberg)

 


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Autor/in (10. Dezember 2024). “Destino Chile, destino Valpo, destino Casa Shu”: Mein Auslandssemester und Schulpraktikum in Valparaíso. Fokus Lehrerbildung. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/12w1u


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