Trachten vermitteln! Potenziale (musealer) Sammlungen als außerschulische Lernorte am Beispiel des Museums Bückeburg
Ein Gastbeitrag von Klara von Lindern (Institut für Materielle Kultur, Universität Oldenburg)

Bild: Klara von Lindern
Textiles, Trachten, (museale) Sammlungen und Schule – wie lässt sich das zusammendenken? In Niedersachsen gibt es Textiles Gestalten – anders als in anderen Bundesländern[i] – als eigenes Unterrichtsfach. Damit ist es auch fest als Studienfach an Universitäten verankert.
Am Institut für Materielle Kultur (Universität Oldenburg) besteht eine Besonderheit darin, dass die angebotenen Lehramtsstudiengänge (Bachelor Materielle Kultur: Textil / Master of Education Textiles Gestalten) in ihrer dezidiert kulturwissenschaftlichen Ausrichtung theoriebasierte Ausbildungselemente mit objektbezogenem, empirischen Arbeiten verknüpfen – unter anderem durch das Einbeziehen der institutseigenen Sammlung Textile Alltagskultur (STAK) in die Lehre und durch die Kooperation mit unterschiedlichen Museen.[ii] Von Beginn des Studiums an spielen daher am Institut (museale) Sammlungen als außerschulische Lernorte für eine zeitgemäße Vermittlung im Fach Textiles Gestalten und die Reflexion über ihr Potenzial für interaktives Lernen mit allen Sinnen eine wichtige Rolle. Verstärkt wird dies durch interdisziplinäre Lehrveranstaltungen, die auch für Studierende weiterer Studiengänge geöffnet sind (beispielsweise den Master Museum und Ausstellung) und in denen eine breite und multiperspektivische Diskussion über schulische und außerschulische Vermittlung sowie über (museale) Sammlungen als außerschulische und außeruniversitäre Lernorte geführt wird.
Im Folgenden möchte ich ein konkretes Fallbeispiel vorstellen, an dem sich jedoch ein generelles und damit übertragbares Potenzial auf vergleichbare Projekte abzeichnet, zu denen ich mit meinem Beitrag Anstoß geben möchte.
Zwischen Theorie und Praxis: Ein Projektseminar zur Schaumburger Tracht
Im Rahmen einer Kooperation mit dem Museum Bückeburg für Stadtgeschichte und Schaumburg-Lippische Landesgeschichte habe ich im Wintersemester 2024/2025 ein Projektseminar zu Strategien zeitgemäßer Vermittlung und Präsentation historischer Trachten durchgeführt. Das Seminar war Teil des durch Pro*Niedersachsen geförderten Forschungsprojekts Frühe Schaumburger Tracht: Ein eigener Modekosmos, das auch die Konzeption einer Sonderausstellung zum Ziel hat, in der ausgewählte Trachten im Kontext der Forschungsergebnisse präsentiert werden.[iii] Ziel des Seminars war es, im Verlauf des Semesters gemeinsam Strategien für eine zeitgemäße museale Vermittlung und Präsentation historischer Trachten zu entwickeln.
Auf Theorieebene beschäftigten wir uns (unter anderem ausgehend von der aktuellen ICOM-Museumsdefinition) zunächst mit Feldern aktueller Sammlungs- und Museumsarbeit. Wie müssen die ‚klassischen‘ Felder Sammeln, Forschen, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln erweitert gedacht werden – etwa im Zeichen von Digitalität/Digitalisierung oder von Barriereabbau auf unterschiedlichen Ebenen? Auf der anderen Seite ging es auch um ein kritisches Hinterfragen von Tracht als Konzept/Konstrukt aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Im Fokus stand beispielsweise die Ambivalenz von Tracht als immer gleichzeitiger Marker von Zugehörigkeit und Abgrenzung. Außerdem ging es darum, Tracht als transkulturelles[iv] und letztendlich globales Phänomen in den Blick zu nehmen.
Auf Praxisebene wiederum standen zwei Faktoren im Mittelpunkt: Zum einen stellte das Museum Bückeburg uns 15 Originalobjekte für ein halbes Jahr zur Verfügung, mit denen wir in Oldenburg arbeiten konnten. Zum anderen konnten die Bestände an Tracht aus der erwähnten STAK mit den Leihgaben aus Bückeburg vergleichend in Bezug gesetzt wurden. Für die praktischen Sitzungen gab es zudem einen Methodeninput zur Erforschung historischer Kleidungsstücke.[v]

Links: Ein Objekt wird durch die Studierenden für Transport und Lagerung mit säurefreiem Seidenpapier ausgepolstert und eingeschlagen | Rechts: Unter die Lupe genommen – Untersuchung der Stickerei auf einem Wams | (Fotos: Klara von Lindern)
Vom Objekt zum Konzept: Trachten praktisch erforschen und vermitteln
Im Verlauf der Praxissitzungen erarbeiteten insgesamt 31 Studierende in kleinen Gruppen ein Vermittlungs- oder Präsentationskonzept zu ‚ihrem‘ Objekt. Unter den Leihgaben waren zum Beispiel Trachtenstrümpfe, Schultertücher oder auch ein Mantel. Schon allein durch die Größenunterschiede brachten die Objekte also ihre eigenen Anforderungen an die Konzepte mit. Aus ihrer Materialität heraus ergaben sich aber auch objektspezifische Interessens- und Fokuspunkte: Bei einem Objekt faszinierte die Stickerei, bei einem anderen die Form und bei einem dritten die Materialzusammensetzung.
Die Studierenden gehörten etwa hälftig dem Masterstudiengang Museum und Ausstellung sowie dem Bachelorstudiengang Materielle Kultur:Textil (größtenteils auf Lehramt) an. Daher wurden die Tandems bewusst gemischt, sodass je eine Person Expertise in Bezug auf museale Praxis/Ausstellungswesen und eine Person Expertise in Bezug auf textile Techniken und ihre (schulische) Vermittlung einbrachte. Durch die vom Originalobjekt ausgehende Annäherung inspiriert, arbeiteten sich die Studierenden – gleichsam intuitiv geleitet – in die historischen Techniken ein, um im zweiten Schritt dann ihr wiederum abstrahiertes Vermittlungskonzept zu erstellen.

Links: Studentische Arbeitsprobe mit unterschiedlichen Stickstichen, die auf einem Wams identifiziert wurden | Mitte und rechts: Perlenstricken als studentische Arbeitsprobe nach der Vorlage sogenannter Hochzeitshandschen aus dem Jahr 1861(Fotos: Klara von Lindern/Museum Bückeburg)
Vom Seminar zum Magazin: Studentische Blicke auf Schaumburger Tracht
Am Ende entstanden ausgehend von den ausgeliehenen Trachten 15 unterschiedliche Vermittlungs- oder Präsentationskonzepte: Von der Hörstation für Sehbeeinträchtigte über Workshops für Schüler:innen zur Trachtenstickerei bis hin zum Textil-Memory. Da in der Ausstellung leider nicht alle Vorschläge umgesetzt werden können, entschieden wir uns gemeinsam mit dem Bückeburger Museumsteam dazu, sie schriftlich in einem Magazin zusammenzustellen und festzuhalten. Dieses Magazin steht bereits jetzt digital als Download auf der Website der STAK zur Verfügung, wird jedoch begleitend zur Ausstellung auch als gedruckte Version erhältlich sein. Außerdem wird eine eigene Ausstellungssektion über das Projektseminar informieren und exemplarisch zwei Konzepte gemäß der Ausarbeitung der jeweiligen Studierenden vorstellen.
Aus der Schule in die Sammlung: Vermittlung von Schaumburger Tracht
Die Zusammenarbeit im Kontext des vom Museum Bückeburg initiierten Trachten-Projekts veranschaulicht das enorme Potenzial von (musealen) Sammlungen als außerschulische und außeruniversitäre Lernorte. Sicherlich gilt es, diverse Herausforderungen zu meistern, die auch in Beiträgen auf diesem Blog bereits angesprochen wurden – zum Beispiel Logistik oder Kosten. Die Studierenden bemühten sich daher, ihre Vermittlungskonzepte kostengünstig und aufbauend auf Alltagsmaterialien zu gestalten. Darüber hinaus wurde angeregt, als Institution selbst aktiv auf Schulen in der Region zuzugehen, um sie auf neue, lokale Lernorte und Ressourcen aufmerksam zu machen. Bewusst steht im Titel dieses Blogbeitrags das Wort ‚museal‘ jedoch in Klammern, da ich explizit die Eignung von universitären Lehrsammlungen als außerschulische Lernorte betonen möchte.
Noch stärker als im Museum kann hier nämlich ein Hands-On-Vermittlungsansatz verfolgt werden, bei dem Schüler:innen die Objekte und Inhalte sprichwörtlich be-greifen. Trachten, so zeigt sich an unseren erarbeiteten Konzepten, lassen sich in viele unterschiedliche Schulfächer einbinden (z.B. Textil, Kunst, Geschichte) und können damit als Schlüsselobjekte für kulturelle Bildung bezeichnet werden. Vor dem Hintergrund des Kerncurriculums für die Grundschule im Fach Textiles Gestalten[vi] beispielsweise wird deutlich, dass Trachten (fast) alle dort genannten Aspekte und Kompetenzen abdecken können. Thematisiert werden sollen „soziale, ökonomische, ökologische, politische, kulturelle und interkulturelle Phänomene“[vii] – sie alle spiegeln sich explizit oder implizit in Trachten wider: Zum Beispiel über Tragekontexte, verwendete Materialien und Herstellungsprozesse; über (nachträgliche) Politisierungsprozesse oder auch im globalen Vergleich. Zwar haftet Trachten häufig ein ‚verstaubtes‘ Image an – allerdings zeigt sich an unserem Projektseminar, dass sich für die Schüler:innen Lebensweltbezüge auf vielfältigen Ebenen herstellen lassen und dass diese Objektgattung vielmehr hochaktuell ist.
Mit Konzepten, wie sie die Studierenden exemplarisch erarbeitet haben, lassen sich ausgehend von Trachten die inhaltsbezogenen Kompetenzen des Curriculums (Kontexte/Produktion/Gestaltung) ebenso vermitteln wie die prozessbezogenen Kompetenzen (Kommunikation/Kreativität/Kollaboration/Kritisches Denken).[viii] Auch die Kombination von historischen Originalobjekten und digitalen Medien, wie sie dort empfohlen wird, lässt sich leicht in Vermittlungskonzepte einbauen und wurde von den Studierenden bereits berücksichtigt. Im Rückblick auf das Seminar zeigt sich, dass die Entwicklung von Vermittlungskonzepten ein hohes Engagement bei den Studierenden hervorbringt – als Ausblick lässt sich davon hoffentlich mindestens genau so viel an Schüler:innen weitergeben, die in (musealen) Sammlungen von und mit Objekten lernen.
Was hier exemplarisch am konkreten Beispiel der Schaumburger Tracht und im Zusammenhang mit dem Fach Textiles Gestalten ausgeführt wurde, muss und soll allerdings keinesfalls auf diese Objektgattung beschränkt bleiben. Vielmehr möchte ich dafür plädieren, generell im Kontext von Lehramtsstudiengängen stärker museale oder auch universitäre Sammlungen als außerschulische und außeruniversitäre Lernorte mitzudenken und wenn möglich auch aktiv einzubeziehen. Denn häufig liegen dort kaum oder gar nicht genutzte Ressourcen brach, die eine Fülle an spannendem und neuem Material bieten und nur darauf warten, in unterschiedliche Lehr-Lern-Formate eingebunden zu werden. Daraus entstehen möglicherweise bekannte Medien mit neuartigem Inhalt (wie unser Magazin), aber vielleicht auch ganz unerwartete Ergebnisse, die Lehrende, Studierende und Schüler:innen Freude an Vermittlung bringen und sie vielleicht umso neugieriger machen – wer weiß? Versuche ist es auf jeden Fall wert!
Klara von Lindern (Institut für Materielle Kultur, Universität Oldenburg)
[i] Vgl. Eyleen Huil: Das Kerncurriculum neu gedacht – die Textile Kette als Projektunterricht in der ersten und zweiten Klasse, in: Stichwort 2021. Jahresbericht und Magazin des Fachgebietes Textiles Gestalten an der Universität Osnabrück, Osnabrück 2021, S. 40–76, hier S. 42.
[ii] Vgl. Patricia Mühr: Zwischen ethnografischer Feldforschung und künstlerisch-ästhetischer Praxis. Textiles Gestalten an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, in: Stichwort 2022. Jahresbericht und Magazin des Fachgebietes Textiles Gestalten an der Universität Osnabrück, Osnabrück 2022, S 56–61, hier S. 57.
[iii] Ziel des Vorhabens ist die wissenschaftliche Erschließung der bundesweit einzigartigen Museumsbestände zu früher Schaumburger Tracht (der Zeit vor 1900). Die Projektleitung hat Dr. Anke Twachtmann-Schlichter inne, Bearbeiterin ist die Historikerin Nadine Werel. Für die ausgezeichnete und produktive Zusammenarbeit möchte ich beiden herzlich danken.
[iv] Vgl. Wolfgang Welsch: Was ist eigentlich Transkulturalität?, in: Dorothee Kimmich/Schamma Schahadat (Hg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität, Bielefeld 2012, S. 25–40.
[v] Dieser Teil wurde mit Unterstützung meines Kollegen Norbert Henzel schrittweise durchgeführt. Wir arbeiteten unter anderem mit dem Buch The Dress Detective, das eine Methode zur Analyse (historischer) Kleidungsstücke in drei Schritten vorschlägt und dazu auch Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Checklisten bereitstellt. Vgl. Ingrid E. Mida/Alexandra Kim: The Dress Detective: A Practical Guide to Object-Based Research in Fashion, London 2015.
[vi] Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurricula für die Grundschule Schuljahrgänge 1–4: Kunst, Gestaltendes Werken, Textiles Gestalten, Hannover 2023, online verfügbar unter https://bildungsportal-niedersachsen.de/allgemeinbildung/unterrichtsfaecher/musische-und-praktische-faecher/textiles-gestalten-primarbereich (Zugriff: 02.07.2024)
[vii] Ebd., S. 5.
[viii] Vgl. ebd., S. 33–34.
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Autor/in (9. Juli 2025). Trachten vermitteln! Potenziale (musealer) Sammlungen als außerschulische Lernorte am Beispiel des Museums Bückeburg. Fokus Lehrerbildung. Abgerufen am 17. November 2025 von https://doi.org/10.58079/14b7e


